Kesten […] das letzte Stück Weimarer literarischen Lebens in der Bundesrepublik

Harald Seubert

In der Literaturkritik wird Kesten meist nur als Herausgeber und Biograph gewürdigt, oder aber ganz übergangen. Anerkannt ist er lediglich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre als Autor der Neuen Sachlichkeit, die er mit seinen frühen Romanen und als Herausgeber entscheidend mitgeprägt hat, auch wenn er in Stil und Form deren Rahmen z.T. schon sprengte.

Die Rezeption seines Werkes nach 1945 ist von einem starken Gegensatz geprägt. Auf der einen Seite steht die Anerkennung durch berühmte Dichterkollegen: nach dem Urteil von Heinrich und Thomas Mann, Alfred Döblin, Stefan Zweig, Robert Neumann, Erich Kästner, Friedrich Torberg, Wolfgang Weyrauch, Hans Magnus Enzensberger, Horst Bieneck u.a. gehörte er nicht nur zu den großen Essayisten, sondern auch zu den großen Romanciers des 20. Jahrhunderts.

Auf der anderen Seite findet man die Nichtachtung, z.T. sogar Nichtbeachtung durch die etablierte Literaturwissenschaft: von ihr wird er nicht selten als Unterhaltungsliterat eingestuft, wenn er nicht überhaupt völlig ignoriert wird. Die ablehnende Haltung der ehemaligen DDR Germanistik hat viel mit Kestens kritischer Haltung gegenüber dem Kommunismus zu tun; in der Germanistik der Bundesrepublik hatte man die Exilliteratur insgesamt, die für Kesten ein so großes Anliegen bedeutete, und mit ihr auch das Werk Kestens aus den fraglichen Jahren, jahrzehnte lang verdrängt.

Hinzu kommt, dass Kestens Gesammelte Werke – in 13 Einzelausgaben bei Desch – erst ab 1966 ff. erhältlich waren. Und auch nach der Wiederentdeckung der Exilautoren, die sich nach 1967 vollzog und die Lion Feuchtwanger oder Oskar Maria rehabilitierte, erfuhr Kesten nicht die entsprechende Anerkennung. Ein weiterer Grund dürfte gewesen sein, dass Kesten ab 1975 ohne Verlag da stand, wie der Schriftsteller und Freund Horst Bienek meint:

„Kestens Bücher erschienen […] damals in einem angesehenen deutschen Verlag, bei Desch, und als der fallierte, stellte sich heraus, dass er nicht nur pleite war, sondern auch seine Autoren betrogen hatte. Einer der großen Autoren des Exils, der Gegenwart, war plötzlich ohne Verlag, ohne einen Markt. Und kein anderer wollte die Bücher weiterhin vertreiben, wollte Kesten weiterhin herausgeben. Es war für ihn die einzige Niederlage – alle andern des Exils hat er triumphal überwunden. Aber mit fünfundsiebzig plötzlich dazustehen, ohne Verlag, ohne Bücher, das war bitter, und vor allem das war ungerecht. […] Ich bin damals von einem Verlag zum andern gegangen und habe überall nur Absagen bekommen. Bis schließlich der Ullstein Verlag eine zwanzigbändige Taschenbuch-Ausgabe machte […].“

Ich bin der ich bin. Hermann Kesten zum 90. Geburtstag, S.30

Heute ist Kestens Gesamtwerk vergriffen, eine Neuauflage ist nicht geplant. Einzelne Titel finden sich in Antiquariaten. Wieder aufgelegt wurden zwei Werke. Der ars vivideni-Verlag legte 2014 die Autorenportraits  Dichter im Cafe auf. Der Nimbus-Verlag brachte 2018 den Roman Die fremden Götter wieder heraus.

Über Werk und Leben von Hermann Kesten wurde mit finanzieller Unterstützung der Stadt Nürnberg 2006 die Internet-Biographie (kesten.de) publiziert.

2017 hat der Schweizer Autor Albert M. Debrunner endlich die längst fällige Biographie  <<Zu Hause im 20. Jahrhundert>>Hermann Kesten im Nimbus-Verlag veröffentlicht und mit diesem umfangreichen wie fundierten Werk das Interesse an dem Literaten neu geweckt.