Im September 1919 beginnt Kesten in Erlangen Jura zu studieren, ein Studienfach, dem sich viele jüdische Intellektuelle verschrieben haben. Schon im Sommersemester 1920 wechselt er nach Frankfurt und setzt dort sein Studium fort, allerdings ohne rechte Lust. Kesten kapselt sich ab und schreibt:

„Ich lebe hier ganz […] einsam und schreibe an meinem Drama, […] wie der junge Grabbe in Leipzig und studiere […] mit demselben Fleiß wie er damals, Jura.“

„Ich hatte Glück mit den Menschen“,
(Hg.) Wolfgang Buhl/ Ulf von Dewitz, S. 39

Die Depressionen halten auch im folgenden Semester an:

„Leider lebe ich schon seit Wochen in einer … endlosen geistigen Apathie, … chronische schlechte Launen, und Unlust an allem […] Lethargie […] Ich denke nicht, ich lebe nicht, ich liebe nicht […] ich schreibe nicht, […] ich besuche kein Kolleg, ich gehe kaum spazieren, lese nicht, nichts, nichts, nur Essen und Schlaf…“.

„Ich hatte Glück mit den Menschen“,
(Hg.) Wolfgang Buhl/ Ulf von Dewitz, S. 39

Erst als er den späteren Freund und Mitstreiter Fritz Landshoff kennen lernt, gelingt es Kesten, die Isolation zu durchbrechen. Jetzt besucht er Seminare in Germanistik sowie soziologische, historische und philosophische Vorlesungen. Auch sein Privatleben ist nun voll von Aktivitäten:

„Ich hörte Musik, ging in Museen, und las deutsch, englisch, französisch, englisch, lateinisch, griechisch, hebräisch, was mir in die Hände fiel, […] machte Fußtouren und Radtouren, […] verliebte mich mehrmals […]“.

„Ich hatte Glück mit den Menschen“,
(Hg.) Wolfgang Buhl/ Ulf von Dewitz, S. 10

Anfang des Jahres 1922 macht er sich zum erstenmal Gedanken über seine Promotion: nicht in Jura, sondern in Germanistik. Er will über Georg Kaiser promovieren, aber wenig später schwenkt er auf Heinrich Mann um, der für die junge Generation als engagierter Schriftsteller zur Leitfigur geworden ist. Im Sommersemester 1923 bricht er jedoch das Studium ab. Was aus der Dissertation geworden ist, liegt im Dunkeln:

„Ich habe eine Doktorarbeit über Heinrich Mann geschrieben, habe aber nie meinen Doktor erworben, da mir diese Doktorarbeit zusammen mit einem Handkoffer mit Hemden etc gestohlen wurde.“

„Ich hatte Glück mit den Menschen“,
(Hg.) Wolfgang Buhl/ Ulf von Dewitz, S. 41

Eine Verlängerung des Studiums wird angesichts der Inflation nicht bezahlbar. Kesten ist jetzt 23 Jahre alt und hat nichts in der Hand. Aber in den wirren und bunten Studienjahren ist ihm klar geworden, was er eigentlich werden will, nämlich

„Dichter! Das kühne Wort ist gefallen […] ich will es, das will ich wirklich […].“

„Ich hatte Glück mit den Menschen“,
(Hg.) Wolfgang Buhl/ Ulf von Dewitz, S. 40

Und innerhalb weniger Jahre wird Kesten es schaffen, zum auflagenstarken jungen Literaten seiner Zeit zu werden. Aber noch ist seine Zeit nicht gekommen.