Döblin veröffentlicht seit 1913 erfolgreich Literatur und schreibt 1929 einen der herausragenden Zeitromane – Berlin Alexanderplatz. Er ist etablierter Autor, Star der Literaturszene, engagierter Nervenarzt und hält Hof im Berliner Café Adler, „ein chinesischer Philosoph auf dem Alexanderplatz, halb keß, halb profund“, so Kesten.
Kesten bewundert Döblin, wenn er auch dessen Literaturthesen nicht gut heißt – und Berlin Alexanderplatz mit „gemischten Gefühlen“ gelesen hat. Sein Urteil über den Roman:

„Da gab es Naturalismus mit Hölle, einen Kaschemmenroman plus Hiob, populäre Elemente mit esoterischen Literaturexperimenten, ein Wüstenpredigerpathos mit Schlagertechnik, eine fühlende Poesie und jene allzu brillante Wiener Psychologie […]“

Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten, S. 80

Der erste Kontakt 1929 – ein ungewöhnlicher Briefwechsel: Kesten, der einen kunstvollen, sorgfältigen Brief an Dr. Döblin gerichtet hat, ist empört, als der seine Antwort – ein Lob auf Kestens Ein ausschweifender Mensch – einfach auf das ursprüngliche Briefpapier krakelt und zurücksendet. Kurzerhand schickt Kesten den Brief mit der Literaturkritik Döblins wieder an diesen zurück. Döblin antwortet postwendend.

„Da wir beide in Berlin wohnten und die Post in der Weimarer Republik schnell arbeitete, hielt ich schon am andern Morgen die fatale Seite wieder in meinen Händen, diesmal noch mit einer Nachschrift auf der Rückseite; es sei ihm eine liebe Gewohnheit, wenn möglich das teure Briefpapier zu sparen; er hebe Briefe, die er erhalten, sowieso nicht auf, und es sei Zeit, daß wir uns endlich treffen würden.“

Hermann Kesten: Lauter Literaten, S. 406

Kurz darauf, so Kesten, treffen sie sich persönlich. Aus der Bekanntschaft wird aber erst später, ab 1933, eine Freundschaft. Beide haben vorher auch geschäftlich miteinander zu tun:

„Döblin, mit der alten boshaften Lust und der kessen Berliner Suada, erzählte Anekdoten und Geschichten, kritisierte und krakeelte, als wäre er noch in seinen muntersten Jahren, da ich ihn zuerst getroffen hatte, wie etwa in Berlin, 1930, im Verlag Kiepenheuer, als er den Wunsch geäußert hatte, von S. Fischer zu Gustav Kiepenheuer hinüberzuwechseln, und lauter boshafte Geschichten über seinen ‚Erbfeind‘ Thomas Mann erzählte und selber am lautesten über seine eigenen Geschichten lachen musste, und noch mehr über meine Freunde Landshoff und Landauer und mich, als wir ihm offen gestanden, daß wir die Bücher und Person von Thomas Mann bewunderten, ebenso wie den Dr. Alfred Döblin und Döblins Bücher.“

Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten, S. 406

Eine „genialische Phantasie“ gepaart mit der Akribie des Naturwissenschaftlers, Menschenfreundlichkeit, Witz, blitzende Klugheit, Widersprüchlichkeit, dreisten Charme – all das schreibt Kesten seinem Freund Döblin in den Porträts, die er hinterlassen hat, zu.
Im Exil vertiefen beide Autoren ihre Freundschaft, sitzen anfangs oft gemeinsam in Pariser Cafés, halten später den Briefkontakt, helfen sich, wo sie können – und verabreden sich in Paris und New York, so oft es geht.