Mit dem Bau einer neuen Eisenbahnstrecke, mit der die Lücke zwischen dem österreichischen und dem südrussischen Bahnsystem geschlossen werden sollte, entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts ein bis dahin bedeutungsloser Weiler zu einem Dorf und später sogar zu einer Kleinstadt mit dem Namen Podwolocyska.

Schnell wuchs der Ort zu einem wichtigen Umschlagplatz für Import- und Exportgüter. Für wenigstens zwei Jahrzehnte war er einer der bedeutendesten Umschlagplätze von südrussischen Gütern nach Mitteleuropa und umgekehrt. Handelsagenten aus vieler Herren Länder machten sich Hotelzimmer streitig und standen Schlange vor Tag und Nacht tickenden Telegraphen. Zudem war Podwolocyska Zentrum des Eierhandels und eine Zeit lang wurden hier an einer Eierbörse sogar die Eierpreise für das gesamte Europa festgelegt.

Podwoloczyska - Zentrum des europäischen Eierhandels

Ein kompliziertes Geschäft

Der Umschlag und der Weitertransport von Eiern – vor der Vollendung der Bahnlinie waren sie in kilometerlangen pferdebespannten Wagenkolonnen angeliefert worden – erforderten besondere Maßnahmen und Vorkehrungen.
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Der Umschlag und der Weitertransport von Eiern – vor der Vollendung der Bahnlinie waren sie in kilometerlangen pferdebespannten Wagenkolonnen angeliefert worden – erforderten besondere Maßnahmen und Vorkehrungen.
Die Eier mussten umgehend auf ihre Qualität geprüft, sortiert, nach europäischem Standard neu verpackt, oder aber in riesigen Bottichen in einer Mischung aus Gips und Wasser zwischengelagert werden. Da Eier schnell verderben, wurden Einrichtungen zu ihrer Weiterverwertung geschaffen. In einer extra gegründeten Fabrik wurde das Eiweiß vom Dotter getrennt, das Eiweiß bei hohen Temperaturen getrocknet und zermahlen und zu Trockeneiweiß oder zu Klebstoff verarbeitet; die Dottern wurden in spezielle Fässer eingelegt und so zum Weitertransport konserviert.

1900 zählte die Stadt 5.000 Einwohner, kurz vor dem
1. Weltkrieg waren es schon 10.000, davon die große Mehrheit Juden. Im bitterarmen Galizien hieß der Ort bald „kleines Paris“. Eine dünne jüdische Oberschicht aus Akademikern, Kaufleuten und Fabrikbesitzern – Ashkenazi oder die Deutschen genannt – gab den Ton an. Seit 1881 konnten sich deren Mitglieder sogar in einem durchaus respektablen Kaffeehaus treffen.
Mit dem 1. Weltkrieg begann der Niedergang des Städtchens, wie der jüdischen Kultur in Osteuropa überhaupt. Galizien wurde von den Mächten Mitteleuropas einverleibt: Zunächst okkupierte das zaristische Russland das Territorium und deportierte die Bevölkerung. Danach folgten, verursacht durch die konkurrierenden Gebietsansprüche der jungen Sowjetunion, der Ukrainer und der Polen, chaotische Kriegs- und Bürgerkriegsverhältnisse. Seit dem Friedensvertrag von Riga (1921) „verwaltete“ Polen das Gebiet. 1939, nach dem Hitler-Stalin-Pakt, wurde das zu Polen gehörige Kleingalizien zunächst von der sowjetischen, dann 1941 von der deutschen Armee besetzt. Die deutsche Wehrmacht und SS-Gruppen deportierten und liquidierten gezielt die gesamte jüdische Bevölkerung. Nach dem 2. Weltkrieg verschoben sich die Grenzen. Podwoloczyska ist seitdem kein Grenzort mehr. Zunächst wurde das ganze Gebiet sowjet-russisch; heute liegt die Stadt in der Ukraine und heißt Pidwolocisk.

Literatur und Links zu Podowoloczyska

Farber, Natanel : Podwoloczyska, My Town. In: Dov Brayer u.a. (Hg.) The Book of Podwolocyska. A Ukrainian Town on the Russian Border. Eigenverlag.
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Farber, Natanel : Podwoloczyska, My Town. In: Dov Brayer u.a. (Hg.) The Book of Podwolocyska. A Ukrainian Town on the Russian Border. Eigenverlag.

http://www.jewishgen.org/yizkor/podvolochisk/podvolochisk.html(Podwolocyska and its surroundings. Gedenkbuch ehemaliger jüdischer Bürger mit ausführlichen Artikeln über die Geschichte des Grenzortes.)