Warum zieht es ihn bei seiner Rückkehr nach Europa ausgerechnet nach Rom? In das Deutschland Adenauers will er nicht und auch seine Frau Toni möchte lieber in Italiens Hauptstadt leben.
Ab und zu lebt das Paar für ein paar Monate in New York, im Hotel oder besucht seine Schwester Gina. Auch die 1949 erworbene amerikanische Staatsbürgerschaft muss er pflegen.

Sinnlichkeit – davon ist viel die Rede bei dem Wahl-Römer Kesten. Er beschreibt ausführlich, was er sieht, riecht, schmeckt. In Dichter im Café findet sich ein eigenes Rom-Kapitel, in dem er nachweist, dass es deutsche Literaten und Künstler seit jeher nach Rom zog.

In Kestens frühen Texten über Rom finden sich auch alle Klischees, die sich Deutsche seit den 50er Jahren über die Italiener erzählen: neben der Sinnlichkeit die Herzlichkeit der Menschen, die Putzsucht der Römer und Römerinnen, der Hang zum Anarchismus im Kleinen und sogar die Institution der Mama, die als Herrin im Haus herrscht. Im Vorwort zu dem Bildband Menschen in Rom, hat er seine Beobachtungen festgehalten. Kesten schwärmt für die Römerinnen und schreibt:

„Schon die alten Römerinnen waren echte Römerinnen, so mütterlich und wollüstig, Vestalinnen und Göttinnen, Mamas mit lasziven Seelen in tugendreichen Körpern voll wollüstiger Kurven, Meisterinnen darin, mit ein wenig Duft und Farbe, mit einer Blume und dem leichtesten Gewand, mit eleganten Sandalen oder Schuhen und einer phantasievollen Frisur, mit ein wenig Braun und Rot, von der Sonne oder Schminke, die verführerischsten Wesen aus sich selber zu machen […]

Nico Jesse: Menschen in Rom, S. 5

Die Geliebte

Mimi Innamorati

Die Schuhe der Toten

Für Mimi

Als ich in ihre Stube kam, sah sie mich nicht.
Als ich ihren Namen nannte, hörte sie mich nicht.

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Die Schuhe der Toten

Für Mimi

Als ich in ihre Stube kam, sah sie mich nicht.
Als ich ihren Namen nannte, hörte sie mich nicht.


Ich bin es, sagte ich, und glaubte es selber nicht.
So kommt ein Toter zu Lebenden, und sie kennen ihn nicht.
Das Ende der Liebe löscht die Gesichter aus.
Ich auf die Straße, da fielen die Häuser um.
Die Schuhe der Toten gingen einzeln und leer,
Rechtsum der linke, nach links der rechte Schuh.
Auch meine Schuhe zogen mich jeder verquer.
Zerrissen stand ich, unfähig zum nächsten Schritt,
Die eigenen Füße waren mir fremd, wie vertauscht.
Ich suchte meinen Namen, keiner paßte zu mir.
In meinen Kleidern steckte ein Golem, das Wort war gelöscht.
Fremde schlugen nach mir mit meinen eigenen Händen.
Feinde klagten mich an mit meiner eigenen Stimme.
Plötzlich sah ich mich selbst, wie ich fortging von mir.
Im Munde spürte ich der toten Liebe Geschmack.
Ich vergaß, wie man vergibt.

Hermann Kesten, Ich bin der ich bin, S. 67
In Rom wird der korrekte Kesten auch in eine leidenschaftliche Affäre mit „Mimi“ (Deckname) verwickelt.
Der Freund und Romancier Gustav Regler, ebenfalls Liebhaber der verheirateten Mimi, attackiert den Buhlen Kesten voller Eifersucht in seinem historischen Roman Aretino.
Kesten beschreibt das Liebesdurcheinander 1955 in seinem Roman Ein Sohn des Glücks.