Heimlich schreiben sie Gedichte und heimlich besuchen sie das „Intime Theater“ in Nürnberg. Hermann Kesten und Karl Beisler, die sich als 14jährige im Melanchthon-Gymnasium kennen lernen, vereint eine gemeinsame Berufung: Beide wollen unbedingt Dichter und Dramatiker werden.

Sie diskutieren mit unerbittlichen Maßstäben über die Werke der Klassiker wie die Werke der zeitgenössischen Autoren. Gegenseitig tragen sie sich ihre Schülerdramen und Gedichte vor. Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches engagieren sie sich gemeinsam im Schülerrat, einer für damalige Verhältnisse revolutionären Errungenschaft als Folge der Aktivitäten der Arbeiter- und Soldatenräte.

Nach dem Abitur studieren beide Jura, aber in verschiedenen Städten. Sie halten Briefkontakt und treffen sich zu gemeinsamen Ausflügen. Beisler studiert zielstrebig, entsagt der Schriftstellerei und wird Jurist in München. Kesten bricht sein Studium ab, unternimmt Reisen, wird Romancier und Lektor in Berlin. Im Dritten Reich bricht jeglicher Kontakt ab.

1938 lässt Kesten seinen Ich-Erzähler über den Schulfreund nachdenken:

„Den ganzen Tag denke ich an die Lieder unserer alten Könige, die mir schon immer besser gefallen haben, als alle, die ihnen nachgefolgt sind, ich rede von König Saul (erinnerst Du Dich an meinen Freund Karl? Im Gymnasium schrieb er einen Saul, es war so viel Anmut in dem Stück, so viel Edelsinn. Was ist aus Karl geworden? – denke ich. Unsere Freunde im Dritten Reich – leben sie? Lieben sie uns noch? Auch dieses geschlagene Deutschland!)“

Hermann Kesten: Die Kinder von Gernika, S. 140

Nach 1949 besucht Kesten die Familie Beisler in München und die alte Freundschaft wird fortgesetzt. Als Karl Beisler 1972 stirbt, schreibt Kesten:

„Wenn ich mit Deutschland grollte, dachte ich an einen Mann wie Karl und dachte, so schlimm kann ein Volk nicht sein, wo es solche noblen Menschen gibt.“

Hermann Kesten: Brief an Else Beisler, 20.05.1972, Monacensia

„Er stieß leicht mit der Zunge an, hatte vorstehende Zähne, die sein Vater aus Geiz nicht hatte korrigieren lassen, schon mit neunzehn schwindende Haare und bald eine Glatze, ein Gesicht, rund und rosig wie ein Kinderpopo, blaue vorgewölbte Augen und einen Gang, als ginge er auf Eiern.“

Hermann Kesten: Dialog der Liebe, S. 137

Nicht gerade schmeichelhaft schildert Kesten seinen jüdischen Mitschüler Hans Hahn als Hans Huhn in einer Novelle. Doch der schwierige Freund ist ihm trotz seiner schrulligen Art äußerst sympathisch. Hans, Sohn eines erfolgreichen Bleistift-Exporteurs, interessiert sich wenig für die Belletristik. Er ist der pure Rationalist. Als Gymnasiast bringt er den Religionslehrer zur Raserei, indem er Gottesbeweise logisch widerlegt. Noch als Abiturient ist er Mitglied in der USPD in Nürnberg und beteiligt sich aktiv an der Arbeiter- und Soldatenbewegung. Er nimmt Kesten mit zu Demonstrationen und Versammlungen. Als Student rückt er Prostituierten mit statistischen Methoden wissenschaftlich auf den Leib, um die weibliche Sexualität zu erforschen.

Kesten findet in Hahn einen treuen Reisebegleiter. So fahren sie 1923 gemeinsam mit dem Schiff über Hamburg und Rotterdam nach Lissabon. 1928 planen sie eine gemeinsame Reise nach Konstantinopel. Vor den Nationalsozialisten flieht Hahn über Belgien nach Peru. Die Freunde verlieren den Kontakt. Aber auch nach dem Krieg kommt die Freundschaft zum Bedauern von Kesten nicht wieder in Schwung. Hahn, in der Zwischenzeit Professor für Psychotechnik in Kentucky, geizt mit Antworten auf Kestens Briefe.