Nach seiner Rückkehr nach Europa hat Kesten die BRD immer wieder besucht, aber er hat sich dort nicht niedergelassen. Die Erklärung ist einleuchtend: Im Nachkriegsdeutschland hatte man nach 1945 die Emigranten nicht eben willkommen geheißen. Niemand hatte sie zur Rückkehr ermutigt oder gar eingeladen. Niemand hatte versucht, das im Exil erlittene Leid wieder gutzumachen. Bitter vermerkte Kesten:

„Millionen Deutscher denken und sprechen heute noch besser von der SS und SA und den alten PGs als von politischen Emigranten oder gar von Juden, die gleichfalls politische Emigranten oder politische Opfer waren […]. Seltsames Volk, das seine besten Söhne verschmäht und die schlechtesten umjubelt.“

Hermann Kesten: Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 13-14

1964 gab Kesten den Sammelband Ich lebe nicht in der Bundesrepublik heraus. Sein Text Das ewige Exil ist eine späte, aber vehemente Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und mit dem wieder erstarkten Nachkriegsdeutschland. Kesten zählte all jene auf, die im oder am Exil zugrunde gegangen sind und benannte auch diejenigen, die erst unter und dann im Nachkriegsdeutschland Karriere machten, als hätte überhaupt nie ein Systemwechsel stattgefunden:

„Die Bundesrepublik bietet das Schauspiel, daß von 159 Blutrichtern Hitlers, die bis 1961 oder 1962 amteten, sechs heute noch Recht sprechen, daß SS-Generäle in Parlamenten sitzen oder Bürgermeister sind, daß die Bundesregierung einen Wolfgang Fraenkel zum Generalbundesanwalt ernennt, der unter der An-klage von Naziverbrechen sogleich zurücktreten muss, daß Bonn einen vormaligen SS-Mann namens Hans Egon Holthusen ans Goethehaus in New York delegiert, in der Stadt, wo Millionen Juden und Neger leben. Die Mehrheit der Diplomaten der Bundesrepublik waren auch die Diplomaten Hitlers. Ich könnte beliebig fortfahren.“

Hermann Kesten: Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 19

Unter diesen Umständen zog Kesten es vor, in New York und in Italien zu leben und aus der Distanz am deutschen Geistesleben teilzunehmen, das ihm nach wie vor eine Herzensangelegenheit war. Sein Engagement galt Deutschland, auch wenn es nicht frei von Ressentiment war:

„Exilierte Autoren haben es vielfach schwerer als daheimgebliebene Völker, alle jüngst vergangenen und die gegenwärtigen Greuel zu vergeben und vergessen.“

Hermann Kesten: Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 25