Die Wollust ist der Treibstoff in der Großindustrie des Universums.

Hermann Kesten

Liest man Kestens letzten Roman von 1972, so staunt man auch jetzt noch über den mutigen 72jährigen Romancier, wie treffend und aggressiv er Formen der Liebe, Ehe und Wolllust beschrieben hat.

Da hat die mit dem Oberpostdirektor Anton Plunder verheiratete, von ihrem Mann verschmähte Christiane ein Verhältnis zunächst mit dem Pfarrer Curtius Weinmüller, der bei ihr vor allem als Samenspender agiert, und später mit dessen Sohn, Jakob Weinmüller, der zugleich ihr Pflegesohn ist. Da brennt die Pfarrersfrau Weinmüller mit dem jungen Italiener Alberto Dossola durch. Da lebt der nach außen hin angesehene und korrekte Oberpostdirektor im Geheimen seit über zwanzig Jahren in einer Liebschaft mit der Jüdin Anna Maria Cohen, aus der die Töchter Ruth und Eva hervorgegangen sind. Da treibt es Luise, die hübsche minderjährige Tochter des Stadtarchitekten Bäuerlein, schon frühzeitig mit den Halbbrüdern Georg und Jakob. Noch grotesker werden die Liebesgeschichten, wenn Kesten Freuds psychoanalytische Sexualtheorie attackiert, wenn die Pflegemutter den schutzbefohlenen Ziehsohn verführen und sehr zum Entsetzen der Mutter die vierjährige Martha sich im Bett am Vater vergehen lässt.

Doch wo Eros sich austobt, stellt ihm Kesten seinen Schatten, den Tod an die Seite. Auch er ist erfindungsreich: Eine Mutter stirbt bei der Kindsgeburt, Ehefrauen, Ehemänner wie Kinder beim Verkehrsunfall. Und von Menschenhand wird auch gemordet, im KZ oder im Folterkeller der Nazis.

Erzähltechnisch hat Kesten sich noch einmal in Neuland vorgewagt. In vier Pseudo-Monologen – sie sind z.T. prall mit Handlung gefüllt – wird das ineinander verwobene Leben von vier Personen aus mehreren Blickwinkeln dargestellt, gespiegelt, gebrochen und verdichtet. Die Lebensgeschichten beginnen in der Weimarer Republik in Nürnberg und enden 1974 in München.