Forschungsobjekt und bewunderter Literat: Über Heinrich Mann hat Kesten seine Doktorarbeit geschrieben, die er angeblich mitsamt Manuskriptkoffer in Frankfurt verlor. Eine Annäherung aus der Distanz.

„Ich hatte zehn Jahre vorher [1921, A. d. Verf.] meine Doktorarbeit über ihn geschrieben, an der Universität Frankfurt, bei Franz Schulz, der mir zuerst gesagt hatte: ‚Sie meinen Thomas Mann‘ und für Heinrich müsse er den preußischen Kultusminister Becker um die Erlaubnis fragen.
Als Student beurteilte ich den fünfzigjährigen Autor Heinrich Mann ungebührlich streng, ich maß ihn wie alle lebenden Autoren an Shakespeare und Horaz und Heine, allenfalls an George Bernard Shaw und Anatole France. Damals dachte ich: Wozu Bücher schreiben, wenn man nicht die Klassiker übertreffen will?
Als ich Heinrich Mann kennenlernte, war ich schon selber ein Autor; man schrieb schon Kritiken über mich, und ich urteilte milder.“

Hermann Kesten: Lauter Literaten, S. 391

Der große Heinrich Mann hat längst weitere Kapitel Literaturgeschichte geschrieben, als Kesten ihn 1928 in Berlin persönlich kennenlernt – bei den Proben zu dem Theaterstück Bourgeois bleibt Bourgeois von Ernst Toller und Walter Hasenclever. Kesten hat die Chansontexte zu dem Stück geschrieben, Heinrich Mann ist – so Kesten – zu der Zeit in eine junge Schauspielerin verliebt. Der anerkannte, ältere Schriftsteller schreibt wohlwollend über den Newcomer Kesten:

„Der Roman Glückliche Menschen hat viel, sehr viel für sich. Er ist modern, kenntnisreich, und die Erkenntnisse sind durch die innere, einheitliche Anschauung der Mitwelt erworben […].

Es gelingt Kesten schließlich, Heinrich Mann als Autor für den Kiepenheuer Verlag zu gewinnen – aber erst nach umfänglichen Verhandlungen mit dem zwielichtigen Agenten Heinrich Manns, der laut Kesten aussah wie ein „armenischer Waffenhändler oder wie ein Gastwirt aus Marseille“.
Im Exil, in Frankreich wie Amerika, finden sich Heinrich Mann und Kesten wieder – und vertiefen die Freundschaft.