Im Herbst 1934 beziehen Joseph Roth, Hermann Kesten und Heinrich Mann gemeinsam ein Haus in Nizza und leben in einer literarischen Wohngemeinschaft. Der Hotel-Dauergast Kesten wohnt für ein paar unbeschwerte Monate zur Miete:

„Und so mieteten wir im Herbst 1934 auf der Promenade des Anglais Nr. 121 ein Haus mit drei möblierten Etagenwohnungen, im ersten Stock wohnten meine Frau und ich, über uns im zweiten Stock Joseph Roth mit der schönen Frau Manga Bell und darüber im dritten Stock Heinrich Mann mit Frau Nelly Kroeger. An blauen Abenden standen wir auf unseren Balkons und sahen wie die Sonne im Meer unterging und ihr Abschein die Wellen und den Himmel und die Wangen unserer Frauen rötete. Heiter verbrachten wir die folgenden Monate zusammen, […]. Wir schrieben damals jeder einen historischen Roman, Heinrich Mann den Henri Quatre, Joseph Roth Die hundert Tage über Napoleon und ich meinen Roman über Ferdinand und Isabella.“

Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten, S. 35-36

Wenn die drei Autoren nicht gerade im Café Monnod auf der Place Masséna sitzen und über die „Gesetze des historischen Romans“ diskutieren, lebt man wie eine große Familie zusammen. Kestens Mutter, nur ein Jahr jünger als Heinrich Mann, findet bei einem Besuch in Nizza besonderen Gefallen an dem Autor und seiner Frau Nelly. Mann führt die beiden Damen separat einmal die Woche zu Kaffee und Kuchen aus.
Die Abende verbringen die drei Paare oft im Bistro nebenan mit reichlich Rotwein und langen, ausgelassenen Gesprächen, die Nelly Kroeger mit erotischen Details aus ihrer Jugend würzt:

„Joseph Roth erzählt eine Liebesgeschichte aus Podolien, Heinrich Mann eine Liebesgeschichte aus Palestrina und Frau Nelly Kroeger Geschichten aus ihrer Mädchenzeit am Kurfürstendamm, berlinerisch ausgezogene, sozusagen splitternackte Geschichten, die mehr nach rotem Wein schmeckten als nach Nachtigallenzungen. Sie erzählte, wie sie mit einer Freundin, so blond und jung und füllig wie sie selber, an linden Sommerabenden am Kurfürstendamm auf und ab promenierte, zwei lustige, blutjunge abenteuerselige verliebte Mädchen von der Nordsee, und wie sie zu zweien oder allein mit irgendeinem hergewehten Jüngling tanzen gingen, Geschichten voll Kichern, Kosen, Küssen.“

Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten, S. 37