Kesten kehrte nicht – wie andere Kollegen – 1945 nach Deutschland zurück. Erst 1949 besuchte er die Bundesrepublik und von da an mischte er sich unentwegt – meist aus dem Ausland – in den deutschen Literaturbetrieb ein. In zahlreichen Essays und Artikeln machte er seinem Zorn über die bundesrepublikanische Kulturszene Luft. Nach den langen Jahren des Exils hatte er wohl gehofft, dass den Exilautoren ein würdiger Empfang bereitet würde und dass man sie an einflussreiche Stellen setzen werde. Aber davon konnte keine Rede sein. Die Emigranten und Verfolgten galten, von Ausnahmen abgesehen, zumindest in der Bundesrepublik eher als überflüssig und beinahe als unerwünscht. Nur die so genannte Ostzone, die spätere Deutsche Demokratische Republik, hieß die Heimkehrer willkommen, und einige von ihnen machten dort auch erstaunliche Karrieren. Kestens Zorn und seine Enttäuschung ist überall zu spüren. Sein Urteil über die neue Deutsche Literaturszene ist vernichtend:

„Obwohl in der Deutschen Demokratischen Republik andere künstlerische und politische Gesetze herrschen als in der Deutschen Bundesrepublik oder in der Schweiz und in Österreich, erscheinen nach dem Krieg überall ähnliche restaurative, schier kunstreaktionäre Tendenzen. Aus verschiedenen Ursachen wirkt in allen vier Ländern, wo die Deutsche Literatur sitzt, eine gewisse seelische moralische Lähmung, eine gewisse geistige Furchtsamkeit, ein gewisser Konventionalismus, die alle Gift für die Literatur sind. Die Fesselung der Literatur, im Osten schon fatale Realität, droht im Westen. […] Die Freiheit des Individuums, Grundbedingung der Kunst, wird drüben bekämpft und hüben verachtet.“

Hermann Kesten: Der Geist der Unruhe, S. 147

Den Grund für diesen desolaten Zustand sah Kesten in der Traditionslosigkeit der jungen deutschen Literaten. Die Exilautoren, so meinte er, müssten richtungsweisend sein für die neue Literatur. Auch knüpften die jungen Autoren der Nachkriegszeit, z.B. der Gruppe 47, nicht an die literarische Tradition der Weimarer Republik an, sondern hätten sich falsche Götter gesucht:

„Indes wünsche ich den jungen deutschen Dichtern heute andere Vorbilder als jene, die viele von ihnen so laut proklamieren, andere literarische Vorbilder als Reaktionäre, Faschisten, Antisemiten, Hetzapostel gegen Negerkinder und Irrationalisten und andere Vorbilder als Hemingway, der im Kriege geschrieben, am besten sollte man alle Deutschen entmannen; als Jünger, der den Hitler vorbereitet hat; als den Benn, der den Hitler extrem gerühmt hat; als Brecht, der seine eigenen Ideale verkauft hat.[…].“

Hermann Kesten: Der Geist der Unruhe, S. 148

Kestens Versuch, die Autoren der Gruppe 47 zu beeinflussen, scheiterte. Seine Kritik wurde zurückgewiesen. Sehr zum Verdruss von Kesten waren Benn und Brecht in den 50er Jahren zu den einflussreichsten Symbolfiguren der Literaturszene geworden. Kesten, der sich als aufrechter Demokrat und Freiheitskämpfer um die gebührende Anerkennung betrogen fühlte, resümiert bitter:

„Der Erfolg zählt, ob er auch von Blut trieft. Die Tugend im Unglück gilt nicht.“

Hermann Kesten (Hg.): Ich lebe nicht in der Bundesrepublik, S. 10