Nürnberg im Jahr 1927: Es wird gesoffen, blamiert, moralisiert und plädiert. Zehn Jahre nach dem Abitur feiern die Ex-Gymnasiasten Klassentreffen. Jeder muss die Bilanz seiner Karriere ziehen und berichten, was er in fünf Jahren erreicht haben will. Die Karrierepläne der fast 30-jährigen Mitglieder der zukünftigen Elite der Weimarer Republik, sind sehr unterschiedlich.
Hans Wald, bereits Syndikus, will Oberbürgermeister werden. Siegfried Blau, Viehhändler, hofft durch Heirat eine Hure zu läutern. Friedrich Niklas Blau, Angestellter, verzweifelt an seiner Zukunft. Georg Obermeier, ein Staatsanwalt, verweigert jede Aussage. Karl Ballon, ein Idealist, der seit seiner Abiturzeit jobbt, zweifelt die Fragestellung an und sagt böse und gekränkt: „Was tue ich? Nichts. Wer ich bin? Nichts?“
Die Befindlichkeit von Karl Ballon war dem Autor Hermann Kesten anscheinend bekannt. Auch er hatte 1926 bei der Feier seiner Abiturientenklasse gerade einmal die Publikation einer Novelle als Erfolgsmeldung vorzuweisen.
Ein Dutzend seiner Mitschüler schickt Kesten in dem Roman nach Berlin. Dort zimmern die Klassenkameraden an ihrem Aufstieg. Die Klassenfreunde geben anfangs vor zu kooperieren, aber auf dem Weg zum Erfolg wird bald untereinander intrigiert, denunziert, verkauft, erpresst, gemordet und gebuhlt. Lediglich Josef Bar, ein politischer Journalist, bleibt seinem Ziel treu, für Gerechtigkeit, Humanität und Wahrheit zu kämpfen.
„Kesten verfolgt Leben und Schicksal bürgerlich männlicher Jugend, den Ablauf ihrer Existenzen quer durch alle sozialen, seelischen und gedanklichen Schichtungen“, schreibt Fritz Walter in einer seiner zeitgenössischen Rezension im „Berliner Börsen Kurier“.
Zwei Siegertypen seiner Zeit karikiert Kesten in seinem kritischen Roman. Den „wohltätigen Erfolgsmenschen“ (Albert Stifter), weil auch solche „ehrenwerten“ Geschäftsleute nur mittels skrupelloser Praktiken zu Reichtum kommen. Und den erfolgsorientierten Gesinnungsintellektuellen (Kurt Ballon), der seine ursprünglich reinen Ideale im Rahmen einer machtorientierten Praxis einer Partei oder Gruppe korrumpiert.
Kesten versteht seinen Roman, der im Herbst 1932, wenige Monate vor der Machtergreifung der Nazis erscheint, als Warnung vor der Scharlatanerie. Zur Wiederauflage des Scharlatan schreibt er 1965:
„Die meisten Menschen neigen dazu, in der Scharlatanerie eine läßliche Sünde zu sehen. Wir argwöhnen alle, daß nicht die tüchtigsten Fachleute nicht ganz ohne Scharlatanerien auskommen. Ja, die genialen Forscher, die Revolutionäre kämen nie zum Ziel. Wenn sie nicht gerade jenen Tendenzen oder Überlegungen nachgäben, die im Vorneherein wie reine Scharlatanerie aussehen. Denn sie folgen eben den unbetretenen, ungewohnten Pfaden. Wir erfahren alle Tage, daß sich in alle Geschäfte der Welt ein wenig Scharlatanerie mischt. Indes haben wir im zwanzigsten Jahrhundert wiederum schaudernd erlebt, daß unsere Welt bis an den Rand des Untergangs gelangen kann, wenn ein Scharlatan Macht genug gewinnt, um an der ganzen Welt herumzupfuschen und mit dem Leben von Dutzenden Millionen wie im Spiel zu verfahren, als Kurpfuscher aller sozialen Krankheiten der Menschheit.“