Ich fühle mich in keiner Stadt der Welt so zuhause wie in Nürnberg und in keiner Stadt der Welt so fremd.

Hermann Kesten

28. Januar 1900 geboren, habe ich meine Kindheit in Nürnberg verbracht […]: So oder ähnlich umschreibt Kesten zu meist geschickt seine ihm anscheinend unliebsame Herkunft.

Offiziell gilt er lebenslang als Nürnberger. Zu Recht und zu Unrecht. Die ostjüdische Familie Kesten zieht 1904 von Podwoloczyska (k.& k. Kronland Galizien) nach Nürnberg – Hermann ist gerade vier Jahre alt. Er wächst in der bürgerlichen Gegend in der Nähe des Stadtparks auf. Vom 10. Lebensjahr an besucht er das Königliche Alte Gymnasium (heute Melanchthon-Gymnasium), wo er lebenslange Freundschaften schließt. Mit dem national-autoritären Geist der Lehrerschaft kann er sich allerdings nicht anfreunden.

Der 1. Weltkrieg macht ihn zum Halbwaisen: Sein geliebter Vater stirbt 1918 im Lazarett. Nach Kriegsende erlebt er den Zusammenbruch des Kaiserreiches, die gescheiterte Arbeiterrevolution und den Wahlsieg einer neuen liberalen Stadtregierung. Von 1919 bis 1923 studiert er in Nürnberg, Erlangen und später dann in Frankfurt recht erfolglos vor sich hin. Nach dem Studienabbruch versucht er sich zunächst als Dramatiker und Erzähler. Seine erste Novelle Vergebliche Flucht publiziert er Anfang 1926 in der Frankfurter Zeitung. Zur gleichen Zeit lernt er den Schriftsteller Gustav Regler kennen.

Die entscheidende Wende in seinem Leben erfährt er durch seinen Freund Landshoff: Dieser überredet ihn, als Lektor beim Kiepenheuer Verlag in Berlin anzufangen, und noch wichtiger, sich endlich an einem Roman zu versuchen. Mit dem Werk Josef sucht die Freiheit gelingt Kesten 1928 auf Anhieb ein Überraschungserfolg, er gilt fortan als eloquenter Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Im Mai 1928 zieht er, wenn auch widerwillig, nach Berlin, um seine neue Aufgabe bei Kiepenheuer wahrzunehmen.