Der erste zweifelsfrei verbriefte Vorfahre Hermann Kestens hieß mit Vornamen Mejr d.i. Der Erleuchtete und mit Nachnamen Kestenbaum. Er ist für das Jahr 1775 für Podwoloczyska belegt. Mejr hatte einen Sohn Chaim Sobel, für den die Jahreszahl 1814 überliefert ist.

Namensgebung

1780 folgte Joseph II (1765-1790) seiner Mutter Maria Theresia (1740-1780) auf dem Habsburgischen Thron. 1781 traten seine Reformen im Kernland Österreich in Kraft und wurden 1785 auch im Kronland Galizien eingeführt. Zu ihnen zählte ebenfalls eine Neuordnung des Namensrechts. mehr…

1780 folgte Joseph II (1765-1790) seiner Mutter Maria Theresia (1740-1780) auf dem Habsburgischen Thron. 1781 traten seine Reformen im Kernland Österreich in Kraft und wurden 1785 auch im Kronland Galizien eingeführt. Zu ihnen zählte ebenfalls eine Neuordnung des Namensrechts. Auf diese Weise sollte u.a. die Kontrolle des Staaates und seiner Verwaltung über die Bürger erleichtert und damit nicht zuletzt die Zahlung von Steuern auf eine sichere Basis gestellt werden. Im Zuge dieser Reformen mussten auch alle Juden – sofern sie dies nicht schon vorher getan hatten – Familiennamen annehmen, oder sie wurden zur Annahme gezwungen. Oft stammten diese Namen aus der umgebenden Welt. Sehr gern wurde dabei die Pflanzenwelt herangezogen. Kasten, Kesten, Kestenbaum, aber auch Kastanienbaum.

Er hieß freilich nicht mehr Kestenbaum, sondern nur noch Kasten oder Kesten.

Chaim Sobel Kesten war verheiratet, hatte sechs Söhne und vier Töchter, lebte in Podwoloczyska und dürfte eine Zeit lang als fliegender Händler beim Bau der Karl-Ludwigs-Bahn tätig gewesen sein. Einer der Söhne Chaim Sobels war David, Kestens Großvater. Er wurde in Podwoloczyska geboren und lebte auch dort. Kesten hat ihn in dem Essay Mit Menschen leben liebevoll charakterisiert.

Erste Erinnerungen

Großvater David Kesten

Meine ersten Erinnerungen? Ich bin etwa drei Jahre alt. Ich renne über die Straße zu meinem Großvater. Sein zweigeteilter Bart verdeckt nicht sein gescheites Lächeln. Ich strecke meine winzige Hand zu ihm empor.

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Meine ersten Erinnerungen? Ich bin etwa drei Jahre alt. Ich renne über die Straße zu meinem Großvater. Sein zweigeteilter Bart verdeckt nicht sein gescheites Lächeln. Ich strecke meine winzige Hand zu ihm empor.

Er reicht mir eine Münze. Ich laufe zum Krämerladen am Ende einer strahlenden, vom Sommer blauen Straße, renne mit einer Lakritzstange zum Großvater zurück, falle, sehe den Huf eines Pferdes über mir, Wagenräder vor mir, der Kutscher schreit und stemmt das Pferd, das sich aufbäumt. Mein Großvater trägt mich weg, mit der einen Hand halte ich mich fest an seinem Bart, mit der anderen die Lakritzstange fest. Liebe ich so entschlossen die Süßigkeit des Lebens?

 

 

Hermann Kesten: Mit Menschen leben, S. 29-30
David hatte fünf Söhne und vier Töchter, unter ihnen Isaak Isidor, der Vater Kestens, geboren am 01.06.1868 in Podwoloczyka. Er war verheiratet mit Hüder Ida Tisch (Tysh), die aus Tarnow stammte und am 2.3.1872 geboren wurde. Isaak Isidor erlernte in seiner Jugend den Eierhandel, „ein Saisongeschäft, spekulativ und im Grunde abhängig vom Sexualtrieb der Hühner“. Der Vater war aber nach Meinung seines Sohnes „zeitlebens ein schlechter Kaufmann.“ (Hermann Kesten, Die Ehre.)