Über 300 seiner Briefe läßt er uns lesen – und man muß Hermann Kesten dankbar sein dafür, daß er 1964 den Band Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933-1949 herausgibt. Leider ist dieses wichtige Buch – wie die meisten Werke Kestens – nur noch antiquarisch erhältlich.
Die Briefsammlung ist einzigartig. Sie gewährt Einblick in die Sichtweisen und Sorgen, die Verzweiflung und Ratlosigkeit, die Grabenkämpfe und Eifersüchteleien vieler bekannter deutscher Autoren im Exil. Sie enthält Briefe von Erich Kästner, Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Carl Zuckmayer, Stefan Zweig, Anna Seghers, Irmgard Keun, Franz Werfel, Alfred Döblin, Joseph Roth, Max Brod, René Schickele, Annette Kolb, Egon Erwin Kisch und vielen anderen. Manche Briefe sind geschäftlicher Natur, sind an den Lektor und die Literaturinstanz Kesten gerichtet. Andere appellieren an den Berater des Emergency Rescue Committee, der von New York aus versucht, von den Nazis verfolgte Schriftsteller aus dem überrannten Europa in die Staaten zu retten. Die meisten Briefe aber richten sich an den Freund, den Berater, den Gleichgesinnten, den Schriftstellerkollegen Kesten.

Die Briefsammlung enthält auch die unterschiedlichen Positionen der Exilliteraten, wie man dem Hitler-Regime entgegen soll: Da ist die freundliche Absage von Anna Seghers zu lesen, einen Text zu der ersten Anthologie (Novellen deutscher Dichter der Gegenwart) beizutragen, die von Kesten 1933 in Amsterdam herausgegeben wird. Sie hält es für unklug, einen Band nur mit Werken jüdischer Autoren zu füllen, anstatt mit allen Autoren, die die Nazis verbotenen haben. Da ist Joseph Roths ironischer Kommentar zu Stefan Zweigs Weigerung zu lesen, seinen Text gemeinsam mit einem eindeutig politischen Vorwort Kestens erscheinen zu lassen, das die Untaten und Gräuel der Nazis beim Namen nennt.

Je länger das Exil dauert, desto öfter tauscht man Todesnachrichten von Kollegen aus. 1938 wird Ödon von Horvath in Paris von einem Ast erschlagen, Joseph Roth trinkt sich vor Kummer zu Tode, Ernst Toller und Stefan Zweig begehen Selbstmord. Man freut sich gemeinsam darüber, wenn ein Verfolgter die Flucht ins sichere Amerika geschafft hat und man versucht dringende Hilfe zu vermitteln. Das Elend und die Verzweiflung der Flüchtlinge, ihre Angst vor den Nazis, aber auch das Engagement namenloser Helfer wie prominenter Regimegegner werden in den Briefen beschrieben.

Hermann Kesten gewährt in seinen Briefe auch einen intimen Einblick in seine Not: So schildert er dem Verlagsagenten T. Ragg im Mai 1940 aus New York seine Verzweiflung, weil er seine Frau alleine in Paris zurücklassen musste. In einem Brief an seinen Schulfreund Carl Beisler gesteht er sich 1945 ein, wie sehr ihn der Tod seiner literarischen Freunde schmerzte und wie tief ihn die Barbarei der Deutschen verletzte.

Die Korrespondenz von Hermann Kesten findet sich im Nachlass des Schriftsteller, den das Monacensia-Archiv in München hervorragend aufgearbeitet hat. Eine wissenschaftliche Edition der Briefsammlung ist in Vorbereitung.