1935: Fast täglich gibt es auf dem linken Seineufer Demonstrationen der Arbeitslosen. Das Land wird abwechselnd von Wirtschafts- und Regierungskrisen erschüttert. Die rechten und linken Gruppierungen stehen sich unversöhnlich gegenüber, zum Ausbruch eines Bürgerkriegs fehlt nicht viel.

Paris ist zu dieser Zeit nicht nur die Hauptstadt Frankreichs, sondern neben Zürich, Prag und Moskau auch die Hauptstadt der politischen Flüchtlinge, vor allem der deutschen. Mitte der 30er Jahre leben etwa 8.000 deutsche Emigranten in Paris, davon circa 2.000 bis 3.000 Intellektuelle, die sich unter anderem als Autoren, Journalisten, Übersetzer durchschlagen müssen.

Die französiche Presse, die zu 80 Prozent rechts bis rechtsradikal orientiert ist, reagiert ausgesprochen feindselig auf die Wellen von Flüchtlingen, gegenüber den deutschen Einwanderern ist die Aversion besonders stark. Die Deutschenfeindlichkeit drückt sich auch darin aus, daß deutsche Einwanderer einen besonderen Ausweis erhalten. Für mittellose Emigranten ist es fast unmöglich, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen.

Wer kein Obdach bei Verwandten, Bekannten, Freunden oder in einem billigen Hotel gefunden hat, wird in Militärgebäuden untergebracht. Die verheerenden Wohnverhältnisse werden von der Linkspresse als „Konzentrationslager in Paris“ bezeichnet. Der Alltag der Emigranten besteht aus Langeweile, Sorgen und Hunger.

Die meisten Emigranten wohnten in bescheidenen Hotelzimmern, manchmal waren diese nicht einmal beheizt. Für viele Schriftsteller wurde das Café

„zum einzig kontinuierlichen Ort. Im Exil wird das Café zu Haus und Heimat, Kirche und Parlament, Wüste und Werkstatt, zur Wiege der Illusion und zum Friedhof.“

Hermann Kesten: Dichter im Café, S. 12