Das Land hat in Westeuropa einen üblen Ruf.

Josef Roth

Galizien, ein Gebiet auf dem nördlichen Abhang und im Vorland der Karpaten, umfasst heute einen Teil des südöstlichen Polen und der westlichen Ukraine. Im 11. und 12. Jahrhundert bildeten sich hier die Teilfürstentümer Halitsch (daher Galizien) und Wladimir. Diese wurden 1386 von Polen unterworfen. 1772, bei der ersten Teilung Polens, verleibten sich die Habsburger, und damit die k.& k. Monarchie, das Gebiet völkerrechtswidrig als „Kronland Galizien und Lodomerien“ (Ableitung vom Wladimir) ein. Im Versailler Vertrag und in Nachfolgeverträgen wurde Westgalizien 1919 und erneut 1921 Polen direkt zugesprochen. Ostgalizien erhielt eine Teilautonomie unter polnischem Protektorat.
In der Geschichte des osteuropäischen Judentums nahm Galizien eine Sonderstellung ein. Die galizischen Juden waren zum Großteil Nachfahren von Aschkenazim,. also Juden, die im Mittelalter in deutschsprachigen Ländern gelebt hatten. Gezwungen durch Verfolgung und Vertreibungen emigrierten sie in den Osten, wo ihnen – besonders in Polen – besondere Privilegien eingeräumt wurden. Sie assimilierten sich kaum, bewahrten so ihre eigene Kultur und ihre aus Deutschland mitgebrachte Sprache, das Jiddische.

Genau wie in anderen Ländern schafften sich die galizischen Juden eine starke Stellung in Handel und Handwerk. Im 17. Jahrhundert kam es infolge der politischen Lage jedoch zur Verelendung der jüdischen Bevölkerung. Galizien war fortan ein Synonym für bittere Armut. Dennoch und der Armut zum Trotz gab es wichtige kulturelle Zentren. Im 19. Jahrhundert etablierten sich die zwei großen geistigen Bewegungen des Ostjudentums: die Haskala und der Chassidismus. Letzterer war eine streng orthodoxe religiöse Bewegung, die – um 1750 in der Ukraine und Polen gegründet – das Gefühl in der Religion betonte. Haskala nannte sich dagegen die jüdische Aufklärungsbewegung (Moses Mendelsohn), die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Berlin aus in den Osten vordrang und altjüdisches Geistesgut mit modernem Kulturleben verschmelzen wollte. Sie orientierte sich stark an der deutschen Aufklärung und ihren Idealen des Weltbürgertums und der Toleranz. Gegenüber der orthodoxen Mehrheit des Chassidismus bildeten die Anhänger der Haskala eher eine Minderheit. Dennoch schufen sie bedeutende geistige Zentren deutscher Kultur und brachten eine reiche Blüte an deutschsprachiger Literatur hervor.

Bekannte Schriftsteller ostjüdischer Herkunft waren Karl Emil Franzos (1848-1904), Martin Buber (1878-1965), Joseph Roth (1894-1939), Joseph Wittlin (1896-1976), Soma Morgenstern (1890-1976), Manes Sperber (1905-1984).