Das ganze Land war in einer faszinierenden Gärung, mit katastrophalem Ausgang.

Hermann Kesten

Berlin ist Ende der 20er Jahre das Machtzentrum Deutschlands. Hier soll sich das Schicksal der Nation entscheiden. Hier wird die Weimarer Republik zu Grabe getragen.
Ab dem Jahr 1929 nimmt in Folge der Weltwirtschaftskrise die Arbeitslosigkeit und Verelendung drastisch zu.
Die Splitterpartei NSDAP springt bei den Reichstagswahlen im Jahr 1930 auf 18,3 % und ist 1932 mit 37,4 % die stärkste Fraktion im Reichstag in Berlin. Auf den Straßen Berlins toben die Kämpfe zwischen der SA und den Kommunisten, die Straßenschlachten nehmen bürgerkriegsähnliche Ausmaße an. Nur wenige Zeitgenossen ahnen Anfang der 30er Jahre, wohin der Weg führt.
Anfang 1933 findet die Weimarer Republik jäh ihr Ende. Im März dieses Jahres muss Kesten vor der SA fliehen. In einem Brief an Ernst Toller schreibt er:

„Ich lebte nur sechs Wochen im Dritten Reich, aber das war eine hinreichende Schule für einen Romancier, eine instruktive Vorhölle. Wir haben doch seit 1914 genug gesehen. Aber dieser lautlose Übergang vom Gesetz zur Gesetzlosigkeit. Nachbarn, die im Handumdrehn aus Biedermännern zu Totschlägern werden. Die Polizei verfolgt Arm in Arm mit den Schlägern die Unschuldigen. Was mir immer wieder auffällt: wie jeder Umsturz, jede Revolution nicht nur von sehr wenigen inszeniert, sondern auch für sehr wenige gemacht scheint. Der Großteil der Bevölkerung begreift nichts, hat weder Pressentiment noch ein scharfes Ressentiment. Jeder Wetterwechsel trifft sie mehr als dieser Regierungswechsel. Ahnt das deutsche Volk nicht, daß diese neue Regierung von den Totengräbern Deutschlands gebildet wurde?“

Kesten: Deutsche Literatur im Exil, S. 22