Am 27. Mai 1940 erreichte Kesten New York. Er war gerettet und verzweifelt: Seine Familie hatte er, als Auflage für sein Visa, in Frankreich zurücklassen müssen. Sein Gedicht Meerfahrt spricht eine deutliche Sprache:

Meerfahrt (1940)

Trotz der engsten Vorgefühle
Schickt das Meer die süße Kühle.
Nacht fällt nieder wie in Schauern,
Ächzend schaukelt die Kabine.
Wogen wachsen hoch wie Mauern
Vor des Mondes Leichenmiene.
Hab‘ ich euch zurückgelassen
In Europas Feuerbränden,
Daß ich mit versengten Händen
Wieder alle möchte fassen?
Ewig werde ich mich hassen:
So von euch mich abzuwenden!
In Europas Feuerbränden
Hab‘ ich euch zurückgelassen.

Hermann Kesten: Ich bin der ich bin, S. 89

Einziger Trost auf der Überfahrt nach New York: Kesten traf an Bord zufällig einen alten Freund, den Autor Gustav Regler (1898-1963), den er schon aus Nürnberger Tagen, seit 1926, kannte.
Noch ein Jahrzehnt später erinnert er Kesten an die gemeinsame Überfahrt – wohl anläßlich des Untergangs der Champlain.

„Lieber Kesten – wie freundlich von Ihnen, an diese Fahrt auf der Champlain zu denken! Das Schiff liegt nun auf dem Meeresgrund, Mieke [Reglers Ehefrau, a. d. V. ] in ihrem kleinen Friedhof im Indio-Dorf Tizapan, und wir beginnen neue Fahrten.“

Hermann Kesten (Hg.): Deutsche Literatur im Exil, S. 299

Die ersten Wochen und Monate im sicheren New York waren ihm vergällt, seine Rettung war ihm nichts wert – auch wenn er Anfang August aus einem Brief von seiner Frau erfuhr, dass sich die gesamte Familie, dazu gehörte nun auch Ginas gesundes Baby Marianne, in Marseille getroffen hatte und dort auf die Ausreise wartete. Weitere verzweifelte Wochen vergingen, bis Kesten endlich seine Familie im September 1940 wohlbehalten in Empfang nehmen konnte.