Wir Nürnberger – so betitelt Kesten seine Rede bei einer PEN Tagung in Nürnberg 1961. Aus vielen Passagen spricht eine ungebrochene Liebe zu seiner Heimatstadt, die er in vielen Werken verewigt hat:

„Und wenn meine Bücher, die von Nürnberg handeln, kein anderes Verdienst hätten, so doch dieses, daß Menschen in fünfundzwanzig Ländern und Sprachen gelesen haben, wie ich Nürnbergs vergangene Größe und Schönheit beschrieben und gerühmt habe und ebenso das Nürnberg, in dem ich so lange gelebt habe und das ich mit Rührung und Liebe und freilich auch mit einigem Spott beschrieben habe […]“

Hermann Kesten: Filialen des Parnass, S. 79

Nürnberg bleibt für Kesten trotz aller Distanz nicht nur der Ort seiner Kindheit und Jugend, sondern auch eine Stadt lebendig gebliebener Traditionen und vergangener geistiger Größe:

„[…] Nürnberg, so lange Zeit freie Reichsstadt, einst das Schatzkästlein des Heiligen Römischen Reiches, einst eine Burg der Reformation, einst ein Tummelplatz der Humanisten, Nürnberg, dessen Bürger sich von einem Landsmann malen ließen, und es war Albrecht Dürer, Nürnberg, dessen Drucker das revolutionäre Buch jenes großen Jahrhunderts druckten, das von himmlischen Umwälzungen handelte, das Buch des Nicolaus Copernicus, die Stadt, wo ein Melanchthon mein Gymnasium gegründet hat, an dem ein Hegel Rektor war, […] – wie häufig war diese alte Stadt eine große Stadt, wie lange berühmt in aller Welt, wie reich, wie schön!“

Hermann Kesten: Filialen des Parnass, S.77

Aber natürlich ist Nürnberg für ihn auch ein Ort der unliebsamen Erinnerungen und bitterer Enttäuschung. Kesten kann und will nicht vergessen…

„Daß nämlich die Stadt Nürnberg neben ihrem echten Glanz eine Weile lang auch einen falschen Glanz, einen fürchterlichen Abschein der Hölle trug, als es die Stadt von Streicher war, die Stadt des „Stürmer“ die Stadt der Reichsparteitage, die Stadt der Nürnberger Gesetze, die Stadt der Nürnberger Prozesse. Wie liebte ich die sanften Ufer der Pegnitz! Aber gestern, in der verhexten Mondnacht, schien mir plötzlich, als wäre das Wasser der Pegnitz rot vom Blut von sechs Millionen Juden, darunter mehr als hundert meiner nahen Verwandten und Freunde, und unter den sechs Millionen mehr als zwei Millionen Halbwüchsige, Kinder und Säuglinge.“

Hermann Kesten: Filialen des Parnass, S. 84

Kesten hat nach 1945 Nürnberg oft besucht. Heimisch ist er dort nicht mehr geworden.